Widerstand oder sein lassen – Ein Abend mit Karin und Thomas

Der Tag war lang. 
Karin kommt müde von der Arbeit nach Hause. 
Thomas sitzt am Esstisch, vertieft in den Laptop. 
Der Tisch ist noch voll vom Frühstück – Teller, Tassen, Brösel. 

Karin spürt sofort, wie sich etwas in ihr zusammenzieht. 
Ein feines, aber deutliches Ziehen im Bauch. 
*Schon wieder. Warum sieht er das nicht?* 
Der Gedanke ist da, bevor sie ihn stoppen kann. 

„Thomas, wir hatten doch ausgemacht, dass du heute den Tisch machst.“ 
Er schaut kurz auf, seufzt leise. 
„Ich mach’s gleich. Ich wollte nur noch schnell was fertig lesen.“ 

Ein vertrauter Moment. 
Und ehe sie es merkt, hört sie sich sagen: 
„Ja, das sagst du immer.“ 

Es ist dieser Satz, der alles kippen lässt. 
Die Luft wird dichter. 
Zwei Menschen, die sich eigentlich nah sind, stehen sich innerlich gegenüber. 



### Der innere Widerstand

Karin spürt, wie sie fester wird – innerlich wie körperlich. 
Die Schultern angespannt, der Atem flach. 
Ein Teil von ihr möchte Recht behalten. 
Der andere sehnt sich nur nach Ruhe. 

Sie kennt diese Schleife: 
*Ich mach zu viel. Ich bleib allein damit.* 
Ein altes Muster, das sich immer dann zeigt, wenn sie müde ist. 

Sie steht einen Moment still. 
Atmet. 
Spürt, wie der Ärger sich in Wellen bewegt – heiß, fordernd, eng. 
Und dann, inmitten dieser Enge, kommt ein kurzer Gedanke: 
*Ich könnte jetzt einfach still bleiben.* 

Nicht als Aufgabe. Nicht als Nachgeben. 
Sondern als inneres Innehalten. 



### Der Moment des Loslassens

Sie lässt den Atem tiefer werden. 
Fühlt, wie das Ziehen sich langsam löst. 
Das Bedürfnis, etwas zu beweisen, verliert an Kraft. 
Etwas Weiches breitet sich aus. 

Sie sieht Thomas wieder an – diesmal anders. 
Ohne Forderung. 
Nur ein Blick, der sagt: *Ich sehe dich.* 

In ihm geschieht etwas. 
Er bemerkt, dass der Druck aus der Situation weicht. 
Er atmet hörbar aus, seine Schultern sinken. 
Die Spannung, die eben noch zwischen ihnen war, löst sich. 

Er sagt leise: 
„Ich hab’s gesehen. Ich mach’s gleich nach dem Artikel, okay?“ 

Und diesmal klingt es anders. 
Ehrlich. 
Nicht als Abwehr, sondern als Kontaktversuch. 

Karin nickt. 
Nicht aus Resignation, sondern aus Klarheit. 
Sie wendet sich ans Fenster, schaut hinaus. 
Die Müdigkeit darf da sein. Der Ärger auch. 
Aber sie spürt: Er hält sie nicht mehr fest. 

Fünf Minuten später steht Thomas auf, klappt den Laptop zu und beginnt, den Tisch abzuräumen. 
Nicht, weil sie es verlangt hat. 
Sondern, weil er sich wieder frei fühlt, selbst zu handeln. 



### Nachklang

Karin lächelt, fast unmerklich. 
Sie hat nichts „getan“ – und doch hat sich etwas verändert. 
Loslassen hat Raum geschaffen. 

Sie begreift: Widerstand entsteht, wenn sie etwas festhalten will, das gerade nicht fließt. 
Loslassen beginnt, wenn sie den Fluss wieder spürt – erst in sich, dann zwischen ihnen. 

Manchmal braucht es dafür kein Gespräch. 
Nur einen Atemzug. 
Ein bewusstes Nicht-Tun. 

Widerstand trennt. 
Loslassen verbindet.

🌿 Ein Impuls für dich

• Kannst du wahrnehmen, wo in deinem Körper Widerstand entsteht?

• Was geschieht, wenn du ihn einfach da sein lässt – ohne sofort zu reagieren?

• Wie verändert sich die Beziehung, wenn du das Bedürfnis nach Kontrolle für einen Moment loslässt?

Widerstand trennt